Auf seinem neuen Studioalbum „The Overview“ macht Steven Wilson das, was er eigentlich immer tut: Er erfindet sich neu. Und so ist denn sein achtes Solowerk auch anders als alles, was er zuvor eingespielt hat. Es vermischt Rock/Pop, Elektronik, Artrock und Ambient, besteht nur aus den beiden jeweils eine LP-Seite langen Tracks „Objects Outlive Us“ und „The Overview“ und trägt doch unverkennbar Wilsons Handschrift.
Es bellt auf beiden Seiten der Zoom-Verbindung. Doch alle Versuche des Interviewten und des Interviewers, den jeweils eigenen Hund vor die Kamera zu locken, schlagen fehlt. „Bowie sitzt meistens unterm Mischpult, wenn ich in meinem Studio arbeite“, erklärt Wilson. Nicht der David – den hat Wilson irgendwo im Hinterstübchen, wenn er arbeitet –, sondern gemeint ist Wilsons Vierbeiner. Da die tierische Konversation nicht zustande kommt, verlagert sich die Unterhaltung zu Wilsons neuem Studioalbum „The Overview“ – auch ein lohnendes Thema.
eclipsed: Welche Gedanken hast du, wenn du ein Foto der Erde siehst, das von weit weg im Weltraum geschossen wurde?
Steven Wilson: Es gibt Trillionen von Sternen im Universum. Unsere Sonne ist nur einer davon, und zwar ein recht kleiner. Die Erde passt eine Million Mal in die Sonne rein. Und es gibt Millionen von Spezies auf der Erde. Warum denken die Menschen nur, dass sie so wichtig und bedeutend sind? Wenn ich also so ein Bild sehe, dann fühle und verstehe ich, wie unbedeutend mein kleines Leben eigentlich ist. Ich fasse das aber als eine schöne Erkenntnis auf, wie kurz das Leben ist im Vergleich zum Kosmos. Das ist ein befreiendes Gefühl. So kann man das Leben noch mehr wertschätzen und genießen.
eclipsed: Dein neues Album ist von diesem Phänomen der Verschiebung der mentalen Perspektive inspiriert, wenn man solche Bilder der Erde sieht. Die Lyrics beschreiben aber nicht nur dieses Phänomen.
Wilson: Natürlich ist es die Kombination aus Musik und Lyrics, die die Story erzählen sollen. Das Album beginnt mit einer Szene, die sich auf der Erde abspielt. Es ist das Aufeinandertreffen von mir, einem Menschen, und einem Alien. Ich treffe den Alien, und er fragt mich: „Hast du uns vergessen?“ Die Lyrics beginnen an diesem Punkt auf der Erde, und sie enden genau auf der anderen Seite des Universums und haben die Erde längst verlassen. Dazwischen gibt es kleine alltägliche Seifenopern, die auf der Erde stattfinden und denen ich gigantische kosmische Ereignisse und Objekte gegenüberstelle wie etwa implodierende Schwarze Löcher.
eclipsed: Du hast die durchaus schöne Seite dieses Perspektivenwechsels erwähnt. Gibt es deswegen ein paar wenige Passagen, die für deine Verhältnisse optimistisch klingen?
Wilson: Einfache Antwort: nein. Ich gehe meine Musik nicht bewusst an. Seit mehr als 30 Jahren mache ich Musik. Ich habe viele Alben gemacht, viel zu viele. 50 vielleicht. Zu viele jedenfalls. Ich bin über den Punkt hinaus, an dem ich etwas Bestimmtes tun will. Außer zwei Dinge, die ich auch jetzt noch will: Erstens will ich mich nicht wiederholen. Und zweitens will ich, dass ich mich nicht mehr von irgendwas beeinflusst fühle, mit der einzigen Ausnahme, wenn es etwas ist, das mich begeistert, falls ich es tue. Es gibt viele Einflüsse in mir drin. Sie sind seit 30 Jahren so tief in meiner musikalischen DNA und meiner musikalischen Persönlichkeit. Mir ist das gar nicht mehr bewusst, wenn ich David Bowie oder Pink Floyd in meine Musik einfließen lasse.