SWANS - Leise ist das neue Laut

20. Dezember 2019

Swans

SWANS - Leise ist das neue Laut

Seit 1982 – mit einer Pause zwischen 1997 und 2010 – stehen Michael Gira und seine Band SWANS für experimentellen Noise-Rock in ohrenbetäubender Lautstärke. Doch auf dem 15. Studioalbum „Leaving Meaning“ schlägt der 65-Jährige plötzlich ganz leise, verhaltene Töne an – ein Sinneswandel, für den er eine einfache Erklärung hat.

Er ist kein einfacher Typ: Michael Gira war Bauarbeiter, Drogendealer, Knacki, Lehrling in einer deutschen Werkzeugfabrik und einer der führenden Köpfe der New Yorker Underground-Rockszene. Während viele Zeitgenossen wie Sonic Youth inzwischen Geschichte sind, ist er mit seinem Projekt weiterhin aktiv, hat sich nebenbei einen Namen als Produzent, Buchautor und Manager seines eigenen Labels Young Gods Records gemacht, ist auch im Rentenalter immer noch Workaholic und Künstler in Personalunion. Einer, der jeden Morgen um sechs Uhr aufsteht, um möglichst produktiv zu sein, Interviews hasst und trotz spannender Vita nie auf den Gedanken käme, seine Autobiografie zu schreiben. Das neueste Swans-Werk, mit dem er einen stilistischen 180-Grad-Wandel vollzieht, kommt für viele überraschend. Wie Gira gleich zu Beginn des Interviews erläutert, beruht dies auf einem simplen Missverständnis.

eclipsed: Viele Leute dachten, du hättest die Swans mit dem letzten Album zu Grabe getragen. Das ist offensichtlich nicht der Fall. Hat man dich falsch verstanden?

Michael Gira: Das kann man so sagen. (lacht) Das kommt davon, wenn man nur die Überschriften irgendwelcher Internetmeldungen liest, in denen Dinge einfach aus dem Kontext gerissen werden. Meine Absicht war, die zweite Inkarnation der Band, die sich ab 2010 herauskristallisiert hatte, aufzulösen, um die Swans stattdessen zum reinen Projekt zu machen – einer Gruppe, die sich für jedes Album immer wieder neu zusammensetzt, sodass ständig andere Musiker zum Zuge kommen. Auf diesem Album mischen nicht nur viele neue Leute, sondern auch ehemalige Mitglieder mit. Es ist halt keine feste Band mehr.

eclipsed: Was hat dich dazu veranlasst – hast du dich in deiner künstlerischen Freiheit eingeschränkt gefühlt?

Gira: Nein, ich war immer so etwas wie der Zirkusdirektor bei den Swans, ganz gleich mit wem ich gearbeitet habe. Aber in der Vergangenheit waren die Swans wirklich eine Band, und zwar eine, die viel im Kollektiv gemacht und jedes Jahr mehrere hundert Tage zusammen verbracht hat – über die Dauer von fast acht Jahren. Wie bei jeder Ehe oder Freundschaft erreicht man irgendwann einen Punkt, an dem man genug voneinander hat. Ich meine, es war nicht so, dass wir einander nicht mehr ertragen konnten, wir hatten eher das Gefühl, dass da nicht mehr viel Neues entstand. Also habe ich die Entscheidung getroffen, dem ein Ende zu setzen.

eclipsed: Und das hat dir die Möglichkeit gegeben, mit Anna und Maria von Hausswolff, The Necks, Ben Frost oder auch Baby Dee zu arbeiten.

Gira: Ich bin ja nicht nur Künstler, sondern auch Produzent, und als solcher versammle ich Musiker um mich, die mein Material adäquat umsetzen. Bei Anna und Maria war es so, dass ich genaue Vorstellungen davon hatte, was ich von ihnen wollte, nämlich das Timbre ihrer Stimmen. Deshalb sind sie für einen Tag nach Berlin gekommen, wo ich aufgenommen habe, und haben für mich gesungen, was ich sehr nett fand. Was Ben Frost angeht, bin ich nach Island geflogen, wo er sein Studio hat, und habe ihn gefragt: „Was könntest du damit machen?“ Er hat mir ein paar Sachen angeboten, die ich nicht so mochte. Und dann hat er etwas probiert, das funktioniert hat.

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