Sgt. Pepper hatte ganze Arbeit geleistet: Die Popmusik, die 1968 folgte, zündete ein Feuerwerk an neuen Stilen und Genres, dessen Nachwirkungen bis heute zu spüren sind. All dies entrollte sich vor dem Hintergrund gewaltiger politischer und gesellschaftlicher Umwälzungen. Die friedlichen Utopien, die die Hippies noch im Vorjahr zur führenden Kraft der jungen Generation gemacht hatten, schienen sich in kürzester Zeit abgenutzt und überholt zu haben. Rückblick auf ein Musikjahr, das zu einem Symbol wurde.
Beginnen wir den Rundgang durch dieses fürwahr turbulente Jahr mit einem Mann, der im Herbst 1968 wie nur wenige andere im Fokus der englischen Musikpresse steht. Seine Geschichte steht exemplarisch für den Veränderungsprozess, den – neben Akteuren aus Film, Literatur und bildender Kunst – nun auch zunehmend junge Popmusiker erleben. Im Februar ist Graham Nash 26 Jahre alt geworden, und längst ist er ein gemachter Mann. Sechs Jahre zuvor hat er mit seinem Schulkumpel Allan Clarke die Hollies gegründet, und die logieren seit ihrem Einstandshit „Just One Look“ (1964) in der Beletage des britischen Beatbooms.
Nash ist dabei mehr als nur Sänger und Rhythmusgitarrist der Gruppe, seit den einflussreichen Beatles-Alben „Rubber Soul“ und „Revolver“ und den bahnbrechenden Arbeiten von Bob Dylan pusht er das Popquintett in eine anspruchsvollere Richtung, will es zukunftsfähig machen und dabei eigene künstlerische Ambitionen verwirklichen. Zunehmend aber trifft er dabei auf Widerstände, vor allem in Gestalt von EMI-Hausproduzent Ron Richards, der von der Erfolgsformel, die Hits wie „Bus Stop“, „On A Carousel“ und „Carrie Anne“ einbrachte, nicht abweichen will. Auch die Band, einfache Jungs aus der nordenglischen Arbeitermetropole Manchester, sieht wenig Anlass zum Kurswechsel – der Rubel rollt schließlich, die mehrheitlich weiblichen Fans tragen ihre Idole auf Händen, und sogar in den USA, dem größten Popmarkt der Welt, laufen die Dinge bestens.
Sternstunde in Laurel Canyon
Was die Hollies und ihr Produzent nicht ahnen, wohl aber Graham Nash: Sie sind drauf und dran, ihr Haltbarkeitsdatum zu überschreiten und den Anschluss zu verlieren. Denn abseits des Teenagermarktes, wo die Single das Maß der Dinge darstellt, hat sich ein erwachsenes und anspruchsvolles Publikum gebildet. Ein ganz neuer Markt mit anderen Spielregeln hat sich etabliert, und dort werden hohe Erwartungen an Musik gestellt. Handwerklich brillanter Gebrauchspop, wie die Hollies ihn machen, ist allenfalls noch bei Mädchen gefragt, das erwachsenere Undergroundpublikum aber findet sich in schlichten Boy-meets-Girl-Lyrics nicht mehr wieder und will mehr als bonbonfarbene Mitsingrefrains, nämlich Experimentiergeist, Komplexität und substanzielle Inhalte.
Im August 1968 reist Nash nach Los Angeles. Er besucht die noch weitgehend unbekannte Joni Mitchell in ihrem Haus in Laurel Canyon. Mit Folgen: Fortan sind die beiden ein Paar. Und schon am ersten Abend trifft Nash in Mitchells Haus den Byrds-Flüchtling David Crosby und Stephen Stills, dessen Band Buffalo Springfield gerade das Zeitliche gesegnet hat. Die beiden singen ihm einen neuen Song vor, „You Don’t Have To Cry“. Nach einer Weile improvisiert Nash zum Harmoniegesang der beiden Amerikaner eine weitere Stimme hinzu – zu dritt erleben sie eine Sternstunde. In seiner Autobiografie „Wild Tales“ schreibt Nash: „Wir waren alle drei Harmoniefreaks und kamen aus Bands, die alle die Zweistimmigkeit bis zur Kunst verfeinert hatten: die Hollies, Buffalo Springfield und die Byrds. Aber der Klang, den wir eben erzeugt hatten, war anders, so frisch. Noch nie zuvor hatten wir so etwas gehört. Wie die Everly Brothers, nur noch besser – und doch war das Prinzip so simpel: eine akustische Gitarre und drei Männer. David und Stephen waren fassungslos.“
In den nächsten Wochen lässt Nash seine Band, seine Ehefrau und England hinter sich und zieht nach Los Angeles, sehr zum Ärger der Hollies, ihrer Fans und der heimischen Musikpresse. Dem fahnenflüchtigen Sänger kann das wurscht sein – er hat nicht nur eine neue künstlerische Heimat gefunden, er hat auch einen Schritt vollzogen, der ihn vom Musiker mit glorreicher Vergangenheit in einen Künstler mit noch ruhmreicherer Zukunft verwandelt. Denn in der geschilderten Geburtsstunde von Crosby, Stills & Nash verdichten sich gleich mehrere Entwicklungen, die das Popjahr 1968 kennzeichnen: Kalifornien wird bald zum neuen Hotspot der Szene. Aus Pop wird nun Rock. Und der versteht sich längst als anspruchsvolle Kunstform, die sich ganz bewusst dem politischen Schlachtenlärm und den rauchenden Kulissen stellt, die 1968 als das Jahr der Revolte in die Geschichte eingehen lassen.