„Living In The Material World“, das vierte Solowerk des Ex-Beatle, zählt neben „All Things Must Pass“ und „Cloud Nine“ zu seinen erfolgreichsten. Aber: Ist es auch eines seiner besten? Oder warum ist es 51 Jahre nach Veröffentlichung dezent in Vergessenheit geraten? Zur dritten Neuauflage streiten Kritiker und Fans weiter über Krishna-Texte, den Widerspruch zwischen asketischer Vision und feudalem RockstarLifestyle sowie die musikhistorische Relevanz des Albums.
Ende 1970 läuft es für George Harrison bestens: Sein drittes Solo-Werk „All Things Must Pass“, das erste nach den Fab Four, ist ein opulentes Triple-Album mit Songs, die er bei den Beatles nie veröffentlichen konnte, weil Lennon/McCartney mauerten. Das hat über Jahre für Frust gesorgt. Doch jetzt erreicht Harrison Platz 1 in Großbritannien wie denUSA – und übertrumpft Maccas Solo-Debüt „McCartney“ und Lennons „John Lennon/Plastic Ono Band“ um Längen. Eine späte Genugtuung, die Selbstvertrauen gibt. Zudem organisiert er das „Concert for Bangladesh“: Am 1. August 1971 tritt er im New Yorker Madison Square Garden mit Dylan, Clapton, Leon Russell, Badfinger und Ringo Starr auf, um Aufmerksamkeit für den Unabhängigkeitskrieg von (damals) Ostpakistan zu generieren. Der sorgt für Millionen von Flüchtlingen, wird aber u.a. von der US-Regierung ignoriert, die Waffen an Pakistan (den Aggressor) liefert.
Harrisons Vorläufer von Live Aid ist ein Riesenerfolg – bis es zu Ärger mit der Musikindustrie und Finanzämtern auf beiden Seiten des Atlantiks kommt. Manager Allen Klein vergisst, das Konzert sowie die anschließende Kombi aus Livealbum und Film als „UNICEF Fundraiser“ zu deklarieren – weshalb alles besteuert wird und für eine Buchprüfung beim Apple-Label sorgt. Das hindert Klein nicht daran, eine „exzessive Kommission“ (Harrison) für seine Dienste zu veranschlagen. Und auch Capitol Records, US-Partner von Apple, will eine „Vertriebsgebühr“ für den Konzertmitschnitt. Konflikte, die den Künstler bis Oktober 1972 vollends vereinnahmen. Als er mit dem Nachfolger zu „All Things Must Pass“ beginnen kann, gibt es die nächsten Nackenschläge: Der Musikverlag Bright Tunes verklagt ihn wegen Urheberrechtsverletzung. Sein Hit „My Sweet Lord“ sei eine Kopie von „He’s So Fine“ der Chiffons von 1963. Zudem erscheint Produzent Phil Spector weder zum vereinbarten Studiotermin noch danach. Warum, ist nicht überliefert – wohl aber, dass er zu dieser Zeit 18 Cherry-Brandys zum „Warmwerden“ benötigt.