PINK FLOYD - Die Farm der Tiere

13. Dezember 2017

Pink Floyd

Pink Floyd sind schuld. Die Geschichte, inwiefern die von Selbstüberschätzung und Größenwahn begleiteten, ausufernden Materialschlachten von Prog- und Artrock Mitte der Siebzigerjahre den Punk mit verursachten, ist hundertfach erzählt worden. Richtig ist sicher, dass die von einer Rezession betroffenen Heranwachsenden jener Jahre vor allem in England die Tuchfühlung zu ihren Idolen verloren. Doch diese Bewegung war keine Einbahnstraße. Ein beeindruckendes Beispiel für die Auswirkungen der gesellschaftlichen Umstände, die den Punk gebaren, auf eine Band, die schon damals als Dinosaurier angesehen wurde, ist das Album „Animals“. Mit dieser überraschenden Platte waren Roger Waters, David Gilmour, Nick Mason und Rick Wright dichter an den Sex Pistols dran, als ihre Zeitgenossen das erkennen konnten.

Versetzen wir uns einen Augenblick in die Jahre 1976/77. Die britische Wirtschaft stagnierte, die Arbeitslosigkeit erreichte ihren höchsten Stand seit dem Zweiten Weltkrieg und die Inflation lag bei fünfundzwanzig Prozent. Die Minderheitsregierung unter Labourpremier James Callaghan war nicht in der Lage, die Probleme zu lösen. Die Gewerkschaften legten zudem die Infrastruktur des Landes mit Streiks lahm. Am Horizont zeichnete sich bereits das Gespenst des Thatcherismus ab. Aber nicht nur zwischen Oben und Unten, auch horizontal gärte es zwischen einzelnen Bevölkerungsgruppen. Im Jahr 1976 waren beim berühmten Notting Hill Carnival schwere Rassenunruhen ausgebrochen. Im Fernsehen wurde übertragen, wie schwarze Jugendliche die überforderte Polizei durch die Straßen jagten. Von der Aufbruchstimmung der Swinging Sixties war nichts mehr zu spüren, ganz Großbritannien lag unter dem Smog der Depression.

Die etablierte britische Musikszene reagierte kaum bis gar nicht auf diese Entwicklungen. Progbands wie Yes und Genesis widmeten sich in ihren Texten alltagsfernen Themen, die sich noch unlängst als working class heroes gebärdenden Rolling Stones gefielen sich plötzlich als Aushängeschild des Jetset, John Lennon hatte in New York alle Hände voll mit Yoko zu tun, die Discowelle gaukelte Eintracht unter dem mirror ball vor. Die Jugend in den Straßen fühlte sich abgehängt. Nach dem Vorbild einiger Sixtiesbands und des Rockunderground von Detroit, Cleveland und New York formierte sich in England der Punk. Die Progvorreiter Jethro Tull drangen mit ihrer im Album-Kontext formulierten Kritik an der Plattenindustrie („Too Old Too Rock’n’Roll, Too Young To Die“) nicht wirklich durch, zogen sich anschließend auf’s Land zurück. Die britische Jugend und im Anschluss die der ganzen Welt wollte keine selbstgefälligen, saturierten Superstars und deren verblasenen Platten mehr. Sie gierte nach Energie, die sich gerne in maximal drei Akkorden Bahn brechen durfte.

Zu den wenigen altgedienten Bands, die die Zeichen der Zeit intuitiv verstanden, gehörten Pink Floyd und Manfred Mann’s Earth Band. Die Earth Band hatte den Weltfluchttendenzen im Prog bereits 1973 ein wütendes „We’re messin’ up the earth“ entgegengeschleudert. Doch damit blieben sie zwischen all den Traumtänzern auf verlorenem Posten. Die Zeit des Protests oder auch nur der Systemkritik schien vorbei. Die mittleren Siebziger wiegten sich im kunterbunten Eskapismus oder in der Nabelschau.

Aus heutiger Perspektive mag das verwundern. Wenn wir uns Bands wie Emerson, Lake & Palmer, Genesis oder Jethro Tull vergegenwärtigen, vergessen wir leicht, dass die meisten von ihnen noch nicht einmal zehn Jahre existierten. Die Zeit verflog nach damaligem Empfinden so rasch, dass das wie eine Ewigkeit anmutete. Woodstock war Legende, die Sixties konnten von 1977 nicht weiter entfernt sein, als sie es vom Jahr 2017 sind. Das britische Rockestablishment hatte die erfolgreichsten Alben seiner Karriere bereits hinter sich. Ein Generationswechsel bahnte sich an, plötzlich gehörten Yes und Co. nicht mehr zur britischen Jugendkultur. All das macht den Widerstand von Tull gegen den Punk bis zu einem gewissen Punkt sogar verständlich.

Um Pink Floyd sah es etwas anders aus. Das Quartett stand nach „The Dark Side Of The Moon“ und „Wish You Were Here“ im Zenit seines Ruhms. Doch der Schuldkomplex gegenüber Syd Barrett war nach diesen LPs und zuvor „Meddle“ hinlänglich abgetragen. Die Band verlangte nach neuen Inhalten. Die Themen lagen im doppelten Sinne auf der Straße. Floyd öffneten die Pforten und ließen die Straße hinein.

Lest mehr im eclipsed Nr. 196 (12-2017/01-2018).