RAGAWERK - Brückenschlag vom Krautrock zu indischen Ragas

3. Oktober 2022

Ragawerk

RAGAWERK - Brückenschlag vom Krautrock zu indischen Ragas

Max Clouth und Martin Standke spielen mit RAGAWERK auf dem gleichnamigen neuen Album globale Fusion mit Räucherstäbchenduft. Nach der Veröffentlichung von „Return Flight“ (2015), dem Debüt des Max Clouth Clan, heimste Bandgründer Clouth 2017 das begehrte Frankfurter Jazzstipendium – den Jazzpreis der Stadt Frankfurt – ein. Neben dem Gitarristen zählt Schlagzeuger Martin Standke zum Kern der Formation. Geprägt sind ihre Stücke vor allem von Einflüssen und Musikern aus Indien. Drei Jahre lebte Clouth auf dem Subkontinent, wo er auch Musik studierte. Nun haben sie ihr Projekt in Ragawerk umbenannt und ein ebenso betiteltes neues Album herausgebracht.

eclipsed: Max und Martin, ihr beide bildet ja den Kern der Band und macht seit 2012 gemeinsam Musik. Könnt ihr ganz kurz Revue passieren lassen, was euch zusammengebracht hat und bis heute zusammenhält?

Martin Standke: Wir beide kommen aus Frankfurt, hatten aber eigentlich noch nie miteinander gespielt. Max kam 2012 aus Indien zurück und brauchte einen Drummer für eine neue Band. Wir haben gleich gemerkt, dass wir uns musikalisch und menschlich sehr gut verstehen, obwohl wir sehr unterschiedlich sind – oder vielleicht gerade deshalb. (lacht) 

eclipsed: Aus dem Max Clouth Clan wurde Ragawerk. Wieso die Umbenennung? Wollt ihr damit eure Fusion aus westlichem Jazz und indischen Ragas schon im Bandnamen zum Ausdruck bringen?

Max Clouth: Genau! Zum einen wollten wir den Bandgedanken mehr nach vorne stellen. Gerade im Jazzbereich ist es fast schon Routine, Bands nach dem Leader zu benennen – davon wollten wir uns irgendwann abgrenzen. Und zweitens natürlich, um die Musik klarer im Namen zu definieren: ein Brückenschlag von Ragas über Krautrock, Loops und Elektronik zum Jazz. 

eclipsed: Apropos: Lass uns über die Herkunft eures originellen Musikansatzes sprechen. Wie ihr schreibt: „Aus indischen Ragas und europäisch geprägtem Jazzhandwerk wird Ragawerk“ – perfekt umgesetzt im Opener des neuen Albums, „Ab Yeh Kya?“. Sind die häufigen Indienreisen der Grund für euren ungewöhnlichen Ansatz? Was hat euch nach Indien gebracht? Was fasziniert euch so an der indischen Musik, Kultur oder auch Lebensphilosophie?

Clouth: Ich habe als kleiner Junge auf einem Stadtfest zum ersten Mal indische Musik gehört – Sitar und Tabla im Duo, eine gängige Kombination in der indischen Musik. Das Konzert hat mein Interesse geweckt. Die Art, Musik zu machen, war mir natürlich fremd, hat sich aber irgendwie damals schon sehr vertraut angefühlt. Nach dem Jazzstudium habe ich dann 2009 bis 2012 in Mumbai gelebt, Unterricht beim Sitarspieler Nayan Ghosh genommen, viel mit indischen Musikern und Musikerinnen gearbeitet und vor allem sehr viel über Musik – und über mich selbst – gelernt. 

eclipsed: Lässt man mal die Beatles außen vor, die bereits früh mit sitarverzierten Songs Weltoffenheit praktizierten, gab es in den 70ern mit Fusion bzw. Jazzrock diesen musikalischen Aufbruch zur Überwindung der eurozentrischen Grenzen. Musiker wie John McLaughlin mit Shakti oder auch Carlos Santana und später Pat Metheny haben alle Musikfarben und -formen des indischen Subkontinents integriert. Wie sehr ist euch auch das Vorbild und Inspiration?

Clouth: John McLaughlin ist für mich sicher die größte Inspirationsquelle, sowohl gitarristisch wie auch in seinem eklektischen Ansatz, Jazz, Rock, Flamenco und indische Musik zusammenzubringen. 

eclipsed: Welche Vorbilder hast du speziell im Hinblick auf da Gitarrenspiel, Max? Daneben gibt es auf dem Album ja auch viele Sitarklänge. Würdest du die auch auf der Gitarre produzieren können und wollen?

Clouth: Ich habe immer wieder mit Sitarspielern gearbeitet, mein Lehrer Nayan Ghosh ist ja selbst einer. Auf dem aktuellen Album sind mit Mehtab Ali Niazi und Abhisek Mallick ja auch zwei hervorragende junge Sitaristen dabei. In „Ab Yeh Kya?“, „Overlays“ und „Das Modul“ spiele ich neben meiner Doppelhalsgitarre eine Sitar-E-Gitarre. 

eclipsed: Welchen Raum haben die anderen Musiker in eurem Projekt – die Sängerin Varijashree Venugopal, die Perkussionisten Udhai Mazumdar und Shivaraj Natraj, der Violinist Manas Kumar und der Sitarspieler Mehtab Ali Niazi?

Standke: Das ist immer unterschiedlich. Mit Varijashree Venugopal z. B. verbindet uns schon eine längere Zusammenarbeit. Wir haben sie 2017 bei einem gemeinsamen Konzert in Hyderabad [der Hauptstadt des indischen Bundesstaates Andhra Pradesh, Anm.] kennengelernt. Seitdem arbeiten wir immer mal wieder zusammen und waren sogar auch schon mit ihr in Deutschland auf Tour. Generell kann man sagen, dass wir unseren Gastmusikern bzw. -musikerinnen auf dem Album schon einigen Raum eingeräumt haben, aber es ist letztlich das Quartett aus Gitarre, Drums, Keyboards und Bass, das die Musik entscheidend gestaltet. 

eclipsed: Einen besonderen Stellenwert für das Projekt hat der Frankfurter Modularsynthesizerspieler Kabuki. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit? Warum sind euch analoge Synthesizer anno 2022 wichtig – und könnte das in Zukunft noch ausgebaut werden (da es mitunter ja auch ein wenig untergeht)?

Standke: Tatsächlich ergab sich der Kontakt 2018 über unser Label. Kabuki hat damals einen Remix von einem unserer Songs gemacht. Wir haben uns gleich super verstanden, und besonders interessant war es für uns, dass er neben den elektronischen Klangfarben eines modularen Synthesizers als elektronischer Musiker eine andere Herangehensweise an die Musik hat. Gerade für mich als Drummer war und ist die Arbeit mit ihm sehr spannend und inspirierend. Wir haben nichts gegen digitale Sounds, aber uns gefällt der Sound von analogen Synthesizern einfach sehr gut. Aber das steht bei unserer Zusammenarbeit mit ihm eigentlich nicht direkt im Vordergrund, es ist mehr die Person bzw. der Musiker. Tatsächlich finden wir das gar nicht, dass er im Mix der Songs, in denen er mitspielt, untergeht, aber so ein Mix ist ja letztendlich auch immer eine geschmackliche Entscheidung. Und natürlich haben wir vor, in Zukunft diese Zusammenarbeit noch weiter auszubauen! 

eclipsed: Der meditative Charakter eurer Musik hat auf „Ragawerk“ zugenommen: „Nature Of The Self“ lässt einen Synthesizer einer Flöte gleich nach vorne marschieren. Bei „Overlays“ ist man wie von Räucherstäbchenduft berauscht. Ist euch hier die Balance aus Up-Tempo-Beats, Virtuosität und meditativen Klängen besser als zuvor gelungen?

Standke: Das hoffen wir doch! Jedenfalls haben wir uns da sehr große Mühe gegeben. Wir versuchen, dem Jazz eine neue Farbe zu geben und einen etwas anderen Sound zu finden. Dabei haben wir uns unter anderem auch viel mit zyklischen Strukturen in der Musik beschäftigt. Dadurch ist der Anteil der meditativen Klänge vielleicht etwas größer geworden. Das Prinzip von Loops steckt aber – neben vielen anderen Elementen – eigentlich in jedem der Songs drin. Das verbindet natürlich alle Stücke miteinander. 

eclipsed: Rudolf Steiner und seine anthroposophische Weltanschauung waren Inspiration für „Grace“. Was fasziniert euch an dieser ja auch sehr widersprüchlichen, in esoterischen Kreisen oft kultisch verehrten Persönlichkeit? 

Clouth: Ich empfinde das Gedankengebäude von Rudolf Steiner nicht als widersprüchlich, sondern als unvollständig. Ich glaube, sein Werk lässt sich eigentlich nur verstehen, wenn man es als Weiterführung der platonischen Philosophie und der Scholastik Thomas von Aquins denkt ... Persönlich fasziniert mich an Rudolf Steiner die riesige Offenheit und Hilfsbereitschaft, die er seinen Zeitgenossen entgegengebracht hat. 

eclipsed: In Stück „Mangal“ hat die Discolegende Asha Puthli einen Auftritt und befragt singend den Mars nach ihrer Zukunft. Wie kam es zu dieser kuriosen Idee?

Clouth: Fanta 4 hatten „Right Down Here“ von Asha ja für „Die Da!?!“ gesamplet – so hatte ich ihre Musik schon als kleiner Junge gehört. Aber richtig auf sie aufmerksam geworden bin ich, als ich mögliche Gastkünstler für „Ragawerk“ recherchiert habe. Asha sang ja auf „Science Fiction“ von Ornette Coleman [1972, Anm.] und hatte dann eine Reihe von Discohits. Als ich sie für unser Album angefragt habe, war sie unglaublich lieb und hat dann etwas sehr Originelles beigesteuert. Zu „Mangal“ hat dann die Videokünstlerin Clo Sargent aus Plymouth noch ein animiertes Video gemacht. 

eclipsed: Was sind eure Zukunftspläne? Wie geht’s weiter mit Ragawerk – live und im Studio?

Standke: Da sind wir im Moment an beidem dran. Max und ich haben ständig neue Ideen zu Musik und auch schon ein paar Songideen für das Nachfolgealbum im Hinterkopf. Und wir planen schon seit einiger Zeit unsere nächste Indientour, aber aufgrund von Corona ist das nach wie vor noch sehr schwierig. Daneben sind wir auch in Gesprächen für eine US-Tour und hoffen, dass beides im nächsten Jahr klappen wird! 

***Interview: Walter Sehrer