RIVERSIDE - Alles auf Anfang

RIVERSIDE - Alles auf Anfang

Nach dem düsteren „Wasteland“-Album musste man sich ein wenig Sorgen um Riverside machen. Zu melancholisch und zerrissen wirkte das Werk, das nach dem plötzlichen Tod von Gitarrist Piotr Grudziński entstanden war. Bei ihrem jüngsten Longplayer, der den vielsagenden Titel „ID.Entity“ trägt, wirken die inzwischen wieder als Quartett agierenden Polen dagegen wie ausgewechselt. Die Songs klingen frisch, die Band spielt geradezu befreit auf, und die Texte von Frontmann Mariusz Duda sind ungewöhnlich angriffslustig geraten, wobei die Polarisierung der Gesellschaft durch Populisten und Fake News ebenso thematisiert wird wie Internet-Tracking und toxische Beziehungen.

Mariusz Duda hat es die Stimme verschlagen – weswegen der Riverside-Chefdenker den ursprünglichen anvisierten Interview-Termin erst mal um ein paar Tage verschieben muss. Als es dann soweit ist, präsentiert sich der 47-Jährige aber sehr gesprächsfreudig und hält mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg, dass er über die Corona-bedingte Zwangspause seiner Band nicht unglücklich war. Denn dadurch konnte er ein wenig Abstand gewinnen, um zu erkennen, dass es Zeit für einen Reset der Band war, der auf „ID.Entity“ überaus gelungen ist. 

eclipsed: Guten Morgen, Mariusz. Wie geht es dir und deiner Stimme?

Mariusz Duda: (hustet und räuspert sich) Das habe ich jetzt nicht absichtlich gemacht! (lacht) Mir geht es mittlerweile viel besser. Ich weiß nicht, woran es liegt, aber immer, wenn ich müde bin, habe ich Probleme mit den Stimmbändern. 

eclipsed: Ist dir das auch schon auf Tour passiert? 

Duda: Ja. Ich mag das Tourleben eigentlich sehr, aber manchmal ist es für mich ein großer Kampf, weil auf mir die meiste Verantwortung lastet. Und je älter ich werde, desto weniger Dinge kann ich machen: Ich kann zum Beispiel keine kalten Getränke oder Getränke mit Kohlensäure trinken, und ich muss wegen Reflux auf Süßigkeiten verzichten. Denn wenn ich gesundheitliche Probleme habe und wir ein oder zwei Shows absagen müssen, verlieren wir Geld für den Nightliner usw. Glücklicherweise war ich die letzten zwei Jahre sehr gesund, aber bei der letzten Tour hatte ich erstmals seit langem ein Problem, denn ich war überarbeitet. Außerdem schwirrte mir schon während der Tour das „ID.Entity“-Projekt im Kopf herum. Wir sind auch keine Band, die zwei Manager hat, sondern kümmern uns um alles selbst. 

eclipsed: Du hast die Pause zwischen „ID.Entity“ und „Wasteland“ für drei Solo-Alben genutzt, die viel elektronischer ausfielen. Hatte deine „Lockdown-Trilogie“ Einfluss auf die Entstehung von „ID.Entity“? 

Duda: Dazwischen gab es sogar noch ein weiteres Album – „Through Shaded Woods“ –, das ich unter dem Namen Lunatic Soul aufgenommen habe! (lächelt) Ich habe also eigentlich vier Solo-Alben gemacht. Um ehrlich zu sein, kam mir die Covid-Situation ganz gelegen, denn ich war müde: Die „Wasteland“-Tour war sehr lang, und mir war klar, dass wir danach mit Riverside eine Pause einlegen mussten. Denn ich hatte die Nase voll vom Progrock, von der immergleichen Herangehensweise und auch davon, mit den immergleichen Leuten zu arbeiten. Ich liebe die anderen Jungs, aber diese bestimmte musikalische Formel ist für mich erstmal passé. Wir legten also eine Pause ein, und ich stellte das Lunatic-Soul-Album fertig. Ich wollte aber auch was anderes ausprobieren. Als die Solo-Stücke entstanden, hatte ich so viel Spaß, dass ich beschloss, gleich eine Trilogie aufzunehmen. Ich wollte auch eine ganz andere musikalische Welt kreieren, die mit Lunatic Soul und Riverside nichts zu tun hatte. Nachdem sich die Corona-Situation noch mal um ein Jahr verlängerte, konnte ich die Trilogie ohne Druck von Riverside fertig stellen. Danach dachte ich über ein neues Riverside-Album nach, aber die anderen waren noch nicht bereit. Sie meinten: „Wir müssen 2021 vier Konzerte in Polen spielen, denn wir brauchen Geld, und die Leute sollen wissen, dass es uns noch gibt.“ Als wir dann 2022 mit dem neuen Album begannen, merkte ich, dass ich Riverside vermisst hatte – aber ich wollte eine Neuversion von Riverside. Meine Idee war: Die Live-Shows der „Wasteland“-Tour sollten unsere Hauptinspiration sein, wobei die Spielfreude und die Live-Energie im Vordergrund stehen sollten. Das hatten wir vorher noch nie gemacht, und daher wollten wir das im Proberaum ausprobieren. 

eclipsed: Dein Bandkollege Michał Łapaj hat in der Zwischenzeit ebenfalls ein Solo-Album aufgenommen, das den Titel „Are You There“ trägt. 

Duda: Er hatte daran mehr als sechs Jahre gearbeitet, und dank der Pandemie konnte er es endlich fertig stellen. Er war vermutlich auch froh, dass er sich aufgrund der erzwungenen Pause darauf konzentrieren konnte. 

eclipsed: „ID.Entity“ hat einen mehrdeutigen Titel, der nicht nur auf die „ID card“ (den Personalausweis), sondern auch auf das „Id“ (Es) aus Sigmund Freuds Schrift „Das Ich und das Es“ anspielt, die genau 100 Jahre vor eurem neuen Album erschien. Warum hast du dich für das Thema Identität entschieden? 

Duda: Wie du sicherlich weißt, ist auf jedem unserer Albencover ein Mensch abgebildet, und ich war auch nie ein Fan von surrealistischen Texten, die zwar cool klingen, aber keinen Sinn ergeben. Als wir „Wasteland“ aufnahmen, litten wir ja noch unter dem Verlust unseres Gitarristen Piotr, und ich bezeichnete mich damals als „melancholisches Wrack“. (lächelt)
Dieses Mal fragte ich mich: „Okay, wo stehe ich? Was passiert um mich herum in der Welt?“ 
Wenn ich ein neues Projekt starte, hat dieses immer drei Ebenen: Es soll dabei um mich gehen, aber auch um die Band und um das, was gerade in der Welt passiert. Die Identitätskrise ist heute sehr wichtig, denn in Polen und in vielen anderen Ländern sind die Menschen sehr polarisiert: Es gibt zwei Fraktionen, die sich anschreien, anstatt zu versuchen, ganz normal miteinander zu reden und einander zu verstehen. Außerdem wollten wir mit Riverside ein neues Kapitel aufschlagen, nach dem Motto: „Wo stehen wir? Sind wir eine Heavy-Metal-Band, eine Progrock-Band oder eine Artrock-Band? Warum müssen uns die Leute immer kategorisieren?“ Denn unser Problem besteht darin, dass wir völlig unterschiedliche Alben aufnehmen nehmen, z.B. „Anno Domini High Definition“ und „Eye Of The Soundscape“, die zwei Seiten derselben Medaille sind. Letztlich wollten wir auf „ID.Entity“ einfach über etwas sprechen, das uns wichtig ist. Außerdem: „Identity“ hat acht Buchstaben! 

eclipsed: Das heißt? Ich meine, mir ist klar, dass „ID.Entity“ euer achtes Album ist ...

Duda: Nun ja, die Titel der ersten drei Alben (der sogenannten „Reality Dream“-Trilogie; Anm.) hatten drei Wörter, „Anno Domini High Definition“ hatte vier, „Shrine Of New Generation Slaves“ hatte fünf, und „Love, Fear And The Time Machine“ hatte sechs. „Wasteland“ hat leider keine sieben Wörter, obwohl ich das ursprünglich wollte, dafür sieht der Buchstabe „l“ wie eine Sieben aus. Und bei „ID.Entity“ haben wir jetzt acht Buchstaben ...

Das komplette Interview ist Teil usneres Online-Abos, siehe https://www.eclipsed.de/de/abo