COLOSSEUM - Über die Strickleiter zurück zum Mond

17. Mai 2022

Colosseum

COLOSSEUM - Über die Strickleiter zurück zum Mond

2018 musste Colosseum-Mitgründer Jon Hiseman die Tour seines Power-Trios JCM abbrechen, weil bei ihm ein Hirntumor diagnostiziert worden war – kurz darauf starb er infolge von Komplikationen bei der Operation. Da Colosseum schon drei Jahre zuvor ad acta gelegt worden waren, glaubte damals niemand mehr an eine Wiederauferstehung der Band, die seit 1968 immer wieder für musikalische Innovationen gesorgt hatte. Doch 2020 kehrten Colosseum zurück und gehen nun mit einem starken neuen Album auf große Tour.

1968: Mit einem neuen Bandkonzept zum Welterfolg

Mit ihren ausschweifenden, am Jazz geschulten Improvisationen und formal an die Klassik angelehnten Arrangements erreichte die Band Colosseum bereits kurz nach ihrer Gründung eine  einzigartige musikalische Dynamik und Durchschlagskraft. Auch wenn die Plattenfirmen ihre wirkliche Größe damals nicht erkannten – die Fans waren begeistert und stürmten die Konzertsäle. Die Colosseum-Gründer Jon Hiseman (Drums) und Dick Heckstall-Smith (Saxofon) kamen aus dem Jazz und hatten vom britischen Bluesboom profitiert. Während ihrer gemeinsamen Zeit in den Gruppen von Graham Bond und John Mayall waren sie auf die Idee gekommen, eine Band zu gründen, die sich von den Ensembles, in denen sie bisher gespielt hatten, grundlegend unterscheiden sollte: „Der Hauptgrund, eine eigene Band zu gründen, waren meine schlechten Erfahrungen. Egal ob bei Bond, Mayall oder mit Georgie Fame – es war immer das gleiche trostlose Konzept: der Star im Vordergrund und eine gesichtslose Rhythmussektion weiter hinten. Eine echte Band sollte aber anders aussehen: Jeder Musiker sollte Freiräume haben und einen gleichberechtigten Part spielen können. Es ging uns um kollektive Improvisation. Es ging uns um größtmögliche musikalische Freiheit“, wird Jon Hiseman in Dick Heckstall-Smiths Buch „The Safest Place In The World. Personal History Of British Rhythm And Blues“ zitiert. 

1971: Nach drei Jahren völlig ausgebrannt

Bereits die im März 1969 erschienene Debüt-LP „Those Who Are About To Die Salute You“ bot den typischen Colosseum-Sound: einen unglaublich spannenden Mix aus Blues, Rock, Klassik, Prog und Jazz. Das kaum mehr als ein halbes Jahr später nachgelegte Album „Valentyne Suite“ wird von vielen als Meisterwerk gepriesen. Es war das allererste, das auf dem Label Vertigo veröffentlicht wurde, das seinerzeit gegründet worden war, um neue, progressive Rockmusik weltweit populär zu machen. Dies sollte auch gelingen: Colosseum tourten intensiv durch Europa und die USA. Nur in Deutschland dauerte es etwas, bis die Schallplattenkäufer die Qualität der Band erkannten: Erst im Februar 1971 konnte sich mit „Daughter Of Time“ ein Colosseum-Album in den hiesigen Charts platzieren. Dabei gilt dieses dritte reguläre Studiowerk der Band vielen Fans als das schwächste ihrer ersten Schaffensperiode, die im Oktober 1971 abrupt endete. Gitarrist Clem Clempson dazu: „Um ehrlich zu sein, halte ich nicht sehr viel von der Richtung, die wir auf ‚Daughter Of Time‘ beschritten haben. Natürlich gibt es da ein, zwei hörenswerte Songs. Aber ich bevorzuge wirklich das Material des Debütalbums, der ‚Valentyne Suite‘ und der Live-LP. 1971 waren wir musikalisch in bester Verfassung. Um so trauriger ist es aus heutiger Sicht, dass wir kurz nach der Veröffentlichung so schnell auseinandergingen. Aber wir waren durch die vielen Auftritte wirklich ausgebrannt. Wir waren so gut wie ununterbrochen auf Tour gewesen, immer unterwegs, sieben Tage die Woche, jeden Abend eine andere Stadt. Anfang der 1970er hat eine Band nur Geld verdient, wenn sie auf Tour war, also mussten wir so oft wie möglich auftreten. Das hat am Ende wirklich geschlaucht.“

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