Die OST ROCK Story (Teil 2) - Am Abend mancher Tage, da stimmt die Welt nicht mehr

Die OST ROCK Story (Teil 2) - Am Abend mancher Tage, da stimmt die Welt nicht mehr ...

Die „Goldenen Jahre“ des Ostrocks reichten von Mitte der 1970er bis ins Jahr 1983. Warum ging es dann abwärts? Hatte die Art- und Progrock-Fraktion bei ihren Modernisierungsversuchen in Folge von Punk, New Wave und NDW etwa überzogen? Weshalb erreichten LPs etablierter Bands wie Puhdys, Karat, City, Stern Meissen und Electra nur noch Bruchteile früherer Verkaufserfolge? Warum hörten die Jüngeren lieber West-Importe und die „anderen Bands“, feierten in Steinbrücken und nicht mehr bei „Rock für den Frieden“? Fragen über Fragen, die nicht einfach zu beantworten sind. Die sozialen und kulturellen Widersprüche im kleineren Teil Deutschlands wuchsen ständig, während die für notwendige Veränderungen blinde Führungsriege den Kopf immer tiefer in den Sand steckte. So platzte der Rock-Elite im September 1989 endgültig der Kragen. Die mutige Resolution von Rockmusikern und Liedermachern zur Lage in der DDR war das erste öffentliche Auftreten von Musikern gegen die Staatsmacht seit der Biermann-Ausbürgerung im Jahr 1976. Wir sprachen mit Bands und Liedermachern über die bewegten Rock-Jahre bis zum Mauerfall am 9. November 1989.

Der Spruch „Beziehungen schaden nur dem, der keine hat“ war im Osten mehr als ein geflügeltes Wort. Mit „Beziehungen“ konnte sich einiges ändern. So wie unterversorgte VEB-Betriebe auf krummen Wegen fehlende Materialien besorgen mussten, hatten auch Rockbands oft keine andere Wahl. Geld allein genügte nicht, um modernes Band-Equipment, den LKW für die langen Touren bis zum Fichtelberg oder neue Tour-Plakate an Land zu ziehen.

War es Zufall, dass die Speerspitze der ostdeutschen Art- und Progrock-Szene aus Sachsen kam? Dem Völkchen im „Tal der Ahnungslosen“ wurden Fleiß, Spürsinn und Erfindergeist nachgesagt. Im Konsum gab’s maximal in Ostberlin und Leipzig was Exquisites überm Ladentisch. Die Urmitglieder von ELECTRA, LIFT und der STERN-COMBO MEISSEN können noch heute ein Lied davon singen. Stellvertretend sagt SCM-Gründer MARTIN SCHREIER: „Ab 1975 begann in der Stern-Combo die schöpferische Periode. Wir trennten uns von der Bläser-Gruppe, das Nachspielen von Chicago und Blood, Sweat & Tears war vorbei. Wir studierten Klassik-Adaptionen von Emerson, Lake and Palmer, versuchten diese nicht nur nachzuspielen. Es ging uns darum, was Neues und Eigenes auf die Beine zu stellen. Ein früher Versuch war Mussorgskis ‚Eine Nacht auf dem kahlen Berge‘. Vom Instrumentarium her wollten wir was Besonderes. Keine Gitarre, dafür neuartige Tasteninstrumente. Der Richtungswechsel war nicht einfach zu bewältigen, hat uns aber stark nach vorn gebracht.“

Belohntes Risiko: Prog- & Artrock-Elite ganz weit vorn!

Die Früchte des Stilwechsels zahlten sich ab 1978 für die Bands des späteren SACHSENDREIERS aus. Mit Alben wie „Weißes Gold“, „Der weite Weg“, „Reise zum Mittelpunkt des Menschen“ (alle SCM), „Electra 3“, „Die Sixtinische Madonna“, „Ein Tag wie eine Brücke“ (Electra) oder „Meeresfahrt“ (Lift) bestimmten sie bis in die 80er-Jahre hinein das Niveau in der Rockszene. Die erfolgsverwöhnte Ostberlin-Fraktion mit PUHDYS, KARAT, CITY und anderen musste sich anstrengen, um Schritt zu halten. Karat-Gründungsmitglied Ulrich „Ed“ Swillms hatte dabei das größte Talent, liedhafte, sinfonische und rockige Elemente zu ganz Besonderem zu formen. „Albatros“, „Schwanenkönig“ und „Der blaue Planet“ stehen zu Recht ganz vorn in der ewigen Song-Bestenliste des Ostrock.

Der spätere Theologe Joachim Krause kam durch Zufall dazu, Texte für Rockbands zu schreiben. Seine Lyrics für LIFT, PANTA RHEI, die HORST KRÜGER BAND und KLAUS LENZ sprechen für sich. Dann kam ein rabenschwarzer Tag im November 1978. Die Lift-Mitglieder Henry Pacholski und Gerhard Zachar starben in Folge eines nächtlichen Verkehrsunfalls auf der Rückfahrt aus der Volksrepublik Polen. Ein Schock – nicht nur für die Fans der Band, die gesamte ostdeutsche Rockszene erstarrte für einen bitteren Moment. Lift-Texter Krause verarbeitete den schrecklichen Tod der beiden Musiker in der Rockballade „Am Abend mancher Tage“. Danach schrieb er keine einzige Rocktext-Zeile mehr.
 

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