Long Distance Calling bleiben neugierig. Auf dem neuen Album „How Do We Want To Live?“ erobert das deutsche Quartett neue Klangterritorien und behandelt daneben fast ganz ohne Worte eine Reihe komplexer gesellschaftspolitischer Themen.
Nach zwei Alben mit unterschiedlichen Gesangsstücken sind die Münsteraner Postrocker seit dem recht harten „Boundless“ (2018) wieder hauptsächlich instrumental unterwegs. Ihr neuestes Werk ist eine enorm dichte Soundreise mit einem hohen Anteil an elektronischen Elementen. Darüber hinaus möchte die Gruppe damit, obwohl es bis auf einen Song und diverse Sprachsamples keine Texte enthält, die Aufmerksamkeit der Hörer auch auf gesellschaftlich hochaktuelle Fragen wie das Verhältnis zwischen Mensch und künstlicher Intelligenz, globale Vernetzung, soziale Medien, Überwachung, Ethik, Humanismus und kulturelle Standards lenken. Wir sprachen mit Bassist Jan Hoffmann über ein Album, das vor allem auch zum Nachdenken anregen soll.
eclipsed: Jan, viele Bands und Labels haben aufgrund der Corona-Krise Veröffentlichungen verschoben. Ihr dagegen zaubert ohne große Vorankündigung „How Do We Want To Live?“ aus dem Hut. Absicht?
Jan Hoffmann: Ja! Wir haben zunächst mal ziemlich im Geheimen daran gewerkelt und erst als alles fertig war die Tür aufgemacht. (lacht)
eclipsed: Eine Verschiebung kam nicht infrage?
Hoffmann: Nein, denn wenn jetzt alle Alben verschoben werden und dann kommt alles auf einmal raus, sagen wir im August, September oder Oktober, werden viele Sachen einfach untergehen in der Masse. Deswegen haben wir uns gesagt: „Komm, wir ziehen das jetzt durch.“ Denn die Leute haben ja immer noch Bock auf Musik, daran hat Corona ja nichts geändert, denke ich.
eclipsed: Werden in dieser Zeit vielleicht sogar wieder mehr physische Tonträger bzw. generell Alben verkauft, weil das Geld zum Beispiel nicht in Konzertkarten investiert werden kann?
Hoffmann: Ich glaube schon, dass die Leute teilweise mehr kaufen, aber natürlich vor allem online. Wer geht heute schon noch eigens wegen CDs zu Saturn oder Media Markt? Das ist doch höchstens Beifang beim Handykauf.
eclipsed: Auf dem neuen Album setzt ihr verstärkt elektronische Sounds ein. Das könnte man einfach für sich so stehen lassen, aber ihr verknüpft damit diesmal auch ein übergeordnetes Themenkonzept.
Hoffmann: Wir finden so einen Ansatz einfach spannender, als einfach nur Musik zu machen. Wir sehen das Album als Betrachtung und Analyse des gegenwärtigen Verhältnisses zwischen Mensch und Maschine, zwischen künstlicher Intelligenz und humanistischen Grundwerten, zwischen technologischem Fortschritt und dem Rückschritt bei der persönlichen Freiheit. Wichtige Themen, und deswegen haben wir das Konzept auch sehr detailliert ausgearbeitet. Klar, bei Instrumentalstücken kann man erst einmal alles draufschreiben, aber wir haben es inhaltlich unterfüttert. Und es passt auch musikalisch wunderbar zu dem Mensch-versus-Maschine-Thema oder Musiker-versus-Computer-Thema, je nachdem, wie man es sehen will. Das ist natürlich an sich nichts Neues, das haben schon Kraftwerk gemacht, aber wir wollten da einfach für uns mal die Grenzen ausreizen.