Die Manic Street Preachers sind eine Institution im Bereich der politisch linken Rockmusik. In ihrer Haltung kompromisslos, aber seit jeher über ein großes Maß an Selbstreflexion verfügend, veröffentlichen sie dieser Tage mit „Critical Thinking“ ihr mittlerweile 15. Studioalbum. Wir sprachen mit Sänger und Gitarrist James Dean Bradfield über Gegenwart und Geschichte der walisischen Band. Zum Zoom-Interview empfängt uns ein gewohnt freundlicher, aufmerksamer und interessierter James Dean Bradfield, der sich erst einmal eine Tasse Kaffee holt, um uns dann seine Weltsicht zu erläutern.
eclipsed: Wie passen die Manic Street Preachers noch in unsere Gegenwart?
James Dean Bradfield: Manchmal fühle ich mich in dieser Welt verloren. Damit meine ich vor allem die Musikwelt, aber manchmal auch die Welt im Allgemeinen. Doch darüber kommt man hinweg und macht weiter. Ich bin gerne in einer Band, aber sie ist wie eine Bestie, die gefüttert werden muss. Denn was einen als Band relevant bleiben lässt, ist, immer wieder neue Songs zu schreiben, die in die Gegenwart passen. Wir forcieren diese Relevanz nicht, wollen aber mit der Gegenwart einen Dialog führen. Und das führt auch dazu, dass wir unsere Relevanz anzweifeln. Aber es ist o. k., wenn man sich manchmal verloren fühlt oder wenn man das Gefühl hat, immer wieder seinen Platz in der Welt suchen zu müssen. Wir leben in einem Zeitalter, in dem Menschen nur noch in ihre eigene Echokammer schreien und davon überzeugt sind, immer recht zu haben. Es verwirrt mich, dass diese Menschen niemals das Gefühl entwickeln, dass sie in Bezug auf ihre Gedanken oder Ideologie auch mal falsch liegen könnten. Und deswegen ist es gut, wenn man Songs schreibt, in denen man sich die eigene Unsicherheit eingesteht. Nicht umsonst heißt eines unserer Alben „This Is My Truth Tell Me Yours“.
eclipsed: Dazu passt auch, dass euer neues Album den Titel „Critical Thinking“ trägt.
Bradfield: Es ist in gewisser Weise derselbe Ausgangspunkt – dass man Dinge nicht immer wörtlich versteht, dass man sich nicht in seinen Echokammern verliert, dass man Zeit investiert, die von Zweifel erfüllten 20 Prozent in sich selbst zu thematisieren.
eclipsed: Es gibt ja regelmäßig Neuveröffentlichungen eurer Alben. Inspiriert euch die Arbeit an euren alten Songs beim Komponieren?
Bradfield: Du kannst dich immer wieder überraschen, wenn du zu den alten Sachen zurückkehrst. Nimm beispielsweise „The Holy Bible“. Wenn ich es mir heute anhöre, merke ich, wie konfrontativ, kantig, detailverliebt diese Lieder sind, sie sind fast schon Prog! Und dann sage ich mir: „Wow, ich hatte ganz vergessen, dass wir so etwas können!“ Dann wiederum denke ich, wenn ich einige Songs auf „Lifeblood“ höre: „Wow, so freundlich können wir also klingen!“ Seine alten Platten zu hören, zeigt einem immer wieder, zu was man einmal fähig war, und inspiriert einen auch zu neuen Ideen. Es ist erstaunlich, was man alles über sich selbst vergisst.