THE ROLLING STONES - Die Rückkehr der Räudigkeit

8. März 2018

The Rolling Stones

Vor fünfzig Jahren starteten die Rolling Stones eines der erstaunlichsten Comebacks der Rockgeschichte. Ende 1967 waren die Briten mit „Their Satanic Majesties Request“ in einer künstlerischen Sackgasse gelandet, und ihre letzten großen Hits lagen eine Weile zurück. Folglich galten Jagger & Co. zu Beginn des Jahres 1968 als Auslaufmodell – Unsinn, wie sich sehr bald zeigen sollte. Wir zeichnen im Folgenden den Entstehungsprozess von „Beggars Banquet“ nach, dem Album, mit dem die Gruppe sich ihre Räudigkeit zurückholte.

Der Gärtner war’s. Dabei hatte sich der Mann, er hieß Jack Dyer, nichts dabei gedacht. Redlands, West Wittering in der Grafschaft West Sussex, später Winter, es muss der Februar 1968 gewesen sein: Mick Jagger und Keith Richards, beide 24, haben sich in Richards’ reetgedecktem, nur ein paar Steinwürfe vom Meer entfernt gelegenem Fachwerkhaus die Nacht um die Ohren geschlagen. Im Morgengrauen, Jagger ist bereits eingenickt, sind von draußen die Schritte des Gärtners zu hören. In Gummistiefeln stapft er durch den regentiefen Boden. Jagger fährt hoch und fragt den Hausherrn, was für ein Geräusch das gewesen sei. Richards: „Ach, das ist Jack – jumpin’ Jack.“

Dyers Schritte haben an diesem trüben Morgen eine Saat gelegt – die Saat für einen neuen Rolling-Stones-Song und für eines der erstaunlichsten Comebacks in den Annalen der populären Musik.

Annus horribilis

So erfreulich sich das Hippiejahr 1967 für die Rolling Stones zunächst angelassen hatte, so unaufhaltsam entwickelte es sich zum Annus horribilis: Im Januar erschien die Single „Let’s Spend The Night Together/Ruby Tuesday“, dazu das neue Album „Between The Buttons“. Beide Platten schafften dies- und jenseits des Atlantiks Toppositionen in den Charts, „Ruby Tuesday“ kletterte in den USA gar auf Platz eins. Daheim in England aber braute sich Ungemach zusammen. Am 12. Februar kam es in Redlands zur berüchtigten Razzia, in deren Folge es im Sommer zum ersten großen Drogenprozess der Rockszene kam. Jagger und Richards mussten kurzzeitig ins Gefängnis, kamen letztlich aber mit Bewährungsstrafen davon. Auch Brian Jones wurde mehrfach festgenommen und vor den Richter zitiert. Allmählich begann der sensible Bandgründer an seinem exzessiven Rockstarleben zu zerbrechen. Im Herbst beschrieben ihn Psychiater als „sehr verängstigten jungen Mann mit suizidalen Tendenzen“. Dass ihm Richards bei einem gemeinsamen Marokkotrip im Februar auch noch seine Freundin Anita Pallenberg ausgespannt hatte, machte die Sache nicht leichter. Auf der Europatournee im Frühling logierten Richards und Jones dann auch in verschiedenen Hotels, der Haussegen bei den Stones hing schief wie noch nie. Das betraf auch Manager Andrew Loog Oldham, sein Verhältnis zur Band war zerrüttet. Im Sommer trennte man sich endgültig. An effizientes und konzentriertes Arbeiten war unter diesen Umständen kaum zu denken. Die Sessions für ein neues Album in den Olympic Studios waren schlecht organisiert, niemand war in der Lage, im künstlerischen Prozess das Heft in die Hand zu nehmen, und keiner wusste, wer zur nächsten Aufnahme erscheinen, womöglich vor Gericht stehen oder gar im Knast sitzen würde. Die hastig herausgebrachte Sommersingle „We Love You“ schaffte es nur auf Platz acht im Königreich – für die erfolgsverwöhnten Stones ein Flop.

„Oh, wenn ihr einen Haufen Mist auf die Reihe bringt – wir können das auch!“ So äußerte sich Keith Richards später einmal abfällig darüber, wie die Stones mit „Their Satanic Majesties Request“ offensichtlich die Beatles und „Sgt. Pepper“ toppen wollten. Und überhaupt: Als „Majesties“ im Dezember 1967 erschien, war das Hippieding längst rum ums Eck und die Stones mit ihren Gebetsglöckchen, Brokatroben und ihrem „Sing This All Together“-Geleier zum ersten Mal in ihrer Karriere hinten dran.

Man hätte „Majesties“ getrost den Titel „The Dark Side Of Sgt. Pepper“ geben können: Die meisten Songs reichten nicht an die Klasse des Lennon/McCartney-Materials heran, und wo die „Pepper“-Produktion zum künstlerischen und technischen Feuerwerk geraten war, erschien das einfältige Geklapper Ihrer satanischen Majestäten als ein aus dem Ruder gelaufener LSD-Workshop, den man versehentlich in einem der teuersten Tonstudios des Landes untergebracht hatte. Mal ganz abgesehen davon, dass der Acidrock jener Saison grundsätzlich eher etwas für romantische Hippieseelen wie die der Beatles war, nicht aber zur nüchternen Weltsicht von Jagger, Richards, Jones, Charlie Watts und Biedermann Bill Wyman passte. Kurzum: Auch wenn sie das Psychedelic-Thema in Songs wie „We Love You“ und den Albumtracks „She’s A Rainbow“ sowie „2000 Light Years From Home“ souverän und eloquent abgehandelt hatten, Perspektive hatte das alles nicht. Im tiefsten Grunde ihrer Seele waren die Rolling Stones nun mal eine Rock’n‘Roll Band. Und zu deren emotionaler Hausapotheke gehörten nicht Liebe, Frieden und Hippieglöckchen, sondern Sex, Aufruhr und Gitarrenlärm.

Am Ende des Flowerpowerjahres fällt die Bilanz im Stones-Lager jedenfalls verheerend aus: Innerhalb der Band ist der Bruch irreparabel geworden. Jones verschwindet zusehends in eine Abwärtsspirale aus Drogenmissbrauch, Gerichtsprozessen und Paranoia. Die Band arbeitet faktisch nur noch zu viert und kann wegen des unzuverlässigen Jones keine Tourneen unternehmen. Ein künstlerisches Management gibt es nicht, und da draußen sind plötzlich nicht wenige Pressestimmen zu vernehmen, die lauthals verkünden, dass die Stones ihren Biss verloren haben. Als das Jahr 1967 zu Ende geht, wissen alle Beteiligten, dass etwas geschehen muss.

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