Der Overkill des pompösen Yes-Doppelalbums „Tales From Topographic Oceans“ hatte Wunden geschlagen, weshalb Keyboarder Rick Wakeman im Mai 1974 das Prog-Flaggschiff verließ. Erst spät wurde mit dem Schweizer Patrick Moraz ein ebenbürtiger Ersatz gefunden. Gesundgeschrumpft legte man mit „Relayer“ ein einzelnes Album im Format von „Close To The Edge“ vor, dessen zweiundzwanzigminütiges „The Gates Of Delirium“, welches auf Tolstois „Krieg und Frieden“ beruht, das Kernstück bildete. Musikalisch wagten sich Yes an noch freiere Ausdrucksformen und näherten sich aggressiv wie nie zuvor einer Jazz-Fusion an. Wir beleuchten die Entstehung dieses besonderen Yes-Albums, befragten Gitarrist Steve Howe und Artwork-Künstler Roger Dean hierzu wie auch zur kommenden Yes-Tour und Ausstellung. Zusätzlich analysieren wir die Spieltechnik von Rick Wakeman und Patrick Moraz.
August 1974. Vielleicht haben die Reifen gequietscht, als Yes-Manager Brian Lane in der ersten Augustwoche den frisch eingeflogenen Patrick Moraz um ein Haar unabsichtlich überfuhr. Lane holte Moraz ab, um ihn ins Farmyard Studio zum Vorspielen zu bringen. Der Schweizer erinnert sich: „Ich war auf dem Weg zu den Proben, und Brian Lane fuhr in seinem Wagen fast über mich drüber. Es war spät, es regnete, und er erkannte mich nicht.“ So dramatisch begann die Zusammenarbeit mit dem neuen Yes-Keyboarder, dessen Zeit in der Band dann auch nur dieses eine Album anhalten sollte. Vorausgegangen war dem eine beschwerliche Suche nach einem Ersatz für den schon damals legendären Rick Wakeman, der im goldenen Umhang Geschichte geschrieben hatte.
1974 war mit Alben wie „Red“ (King Crimson), „Crime Of The Century“ (Supertramp) und „The Lamb Lies Down On Broadway“ (Genesis) ein für den Prog immer noch äußerst fruchtbares Jahr, so wie die zwei, drei Jahre davor, die den Zenit des experimentierfreudigen Genres dargestellt hatten. Yes hatten im Dezember 1973 mit „Tales From Topographic Oceans“ sogar erstmals den Thron der britischen Album-Charts bestiegen. Allerdings bereitete das überambitionierte Doppelalbum mit vier zwanzigminütigen Longtracks (die nicht alle hielten, was sie versprachen) den Abstieg des Genres in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre vor. Da es zu esoterisch, selbstverliebt und maßlos ausfiel, brachte es in der Folgezeit langsam, aber sicher Kritiker wie Musikfans gegen Yes und die Exzesse des Prog auf. Einer, der selbst dabei war, sah dies ganz genauso: Rick Wakeman entschied sich nämlich schweren Herzens dafür, diese Musik-Exkursionen von Yes in Zukunft nicht mehr mitmachen zu wollen.
Star-Keyboarder verlässt Yes-Mutterschiff
Rick Wakeman hatte gerade eben sein Soloalbum „Journey To The Centre Of The Earth“ veröffentlicht, welches Platz 3 der US-Charts erreichte und im UK sogar auf Platz 1 schoss – just an Wakemans fünfundzwanzigstem Geburtstag. „Als ich Yes verließ, machte mich das sehr traurig. Es war der 18. Mai 1974. Ich saß ganz alleine zuhause in Devon. Tatsächlich war es mein Geburtstag. Ich hatte am Tag davor das Yes-Büro angerufen und gesagt, dass ich mich entschieden hätte… Ich wollte gehen.“ So resümiert Rick Wakeman seine folgenreiche Entscheidung, die er sich aufgrund des eigenen Erfolges aber auch leisten konnte. Dem vorausgegangen war ein bereits längeres Unwohlsein. Wakeman hatte aus seiner Unzufriedenheit mit dem Material von „Tales From Topographic Oceans“, zu dem er selbst kaum etwas beigetragen hatte, keinen Hehl gemacht. Die Ausrichtung auf, was er als „Free-Jazz-Form“ bezeichnete, hatte er bereits in der UK-Presse kundgetan: „Yes bewegten sich in Richtung Avantgarde-Jazzrock, und da hatte ich nichts anzubieten.“ Später stellte er jedoch unmissverständlich klar, dass sich seine Kritik darauf gerichtet hatte, dass das Songmaterial unnötigerweise zu einem Doppelalbum aufgebläht worden war ...